Der "Netzbeschmutzer"
Seine traumatische Jugend und seine Haßliebe zu Österreich hat sich Thomas Bernhard in 5 Büchern (Die Ursache, Der Keller, Der Atem, Die Kälte, Das Kind) von der Seele geschrieben. Trotz testamentarischer Verfügung werden Bernhards Texte in Österreich verlegt und aufgeführt. Ach die Orte der kindlichen Schrecken rühmen sich postmortal seiner Anwesenheit.
Traunstein macht da keine Ausnahme. Der Initiative des rührigen Traunsteiner Realschullehrers Willi Schenkmeier, der Realschule in der schon Bernhard litt, ist es zu danken, daß es auch in diesem Ort Stadtspaziergänge auf den Spuren Thomas Bernhards gibt. Was als private Spurensuche begann, entwickelte sich zum 6 mal in Jahr „durchgeführten“ und moderierten Spaziergang von Bernhards Wohnhaus in der Schrödelgasse zum sog. Straßerhof in Ettendorf, in dem sich die bescheidenen Wohnung seines geliebten Großvaters Johannes Freumbichler befand.
Wohnhaus Freumbichler, Traunstein, Bild HJHereth, www.fluchtwege.eu
Längst finden sich an diesen Terminen nicht nur lokale „Bernhardianer“ ein, nein sogar die Bernhard-Prominenz – Halbgeschwister, von Bernhard verehrte Schauspieler wie Rudolf Wessely u.v.a. – kommen und gestalteen Memoria-Abende. Aber wie schon der Meister selbst in der „Auslöschung“ geschrieben hat: „hüten Sie sich, die Orte der Schriftsteller und Philosophen aufzusuchen, Sie verstehen sie nachher überhaupt nicht.“ Als ob die meisten ihn vorher besser verstanden hätten.
Nichts desto trotz lassen wir uns von den Einlassungen Bernhards nicht abbringen und schauen uns an wo er in seiner Jugend rumgeturnt ist: Schaumbergerstraße, Taubenstraße, Stadtplatz mit Kirche, die Volksschule in der Rosenheimerstraße, den Ausflugsort Wochinger Eck, die Eisenbahnbrücke über die Traun und hier flußaufwärts am rechten Hochufer die Ortschaft Ettendorf.
Eisenbahnbrücke über die Traun in Traunstein, Bild HJHereth, www.fluchtwege.eu
Hier oben trifft man noch einen anderen Wallfahrerzug, den zu Joseph „wir sind Papst“ Ratzingers Jugendhaus. Rechts von der Wallfahrtskapelle St. Anna die sich vornehmlich bei den Georgi-Ritten füllt, ansonsten aber geschlossen bleibt, Bernhard, links Ratzinger. Die Häuser stehen wohl noch, Hinweisschilder gibt es keine. Wenn man sich anders hinstellt bekommt man in etwas die jeweilige Weltanschauung der Bewohner hin. Daß sie sich die nahezu Gleichaltrigen getroffen haben, ist nicht unwahrscheinlich. Doch blieben die Burschen Georg und Joseph wochentags im Studienseminar St. Michael in Traunstein, während Thomas so oft er konnte sich hier oben aufhielt. In „Ein Kind“ referiert über diese Zeit. Der Stolz der Traunsteiner über „ihren“ Pabst ist unübersehbar: die St. Georgskirche mit großformatiger Porträtbüste, die Tafeln mit der Pilgerkarte seiner Lebensstationen in Traunstein, nach ihm benannte Wege usw. Auch der andere prominente Literat der Stadt, Ludwig Thoma, ist mit Tafeln und als Namenspatron der Schule besser vertreten als der ewige „Nestbeschmutzer“.
Lassen wir die Annehmlichkeiten eines knapp 2-stündigen Spaziergangs beiseite und bewegen wir uns auf dem Fluchtweg „Ein (es) Kind (es)“ nach Salzburg. Ambitioniert ist der Weg heute auf andere Weise. Die Bundesstraße 304 nach Freilassing dient nach Einführung der Autobahnmaut für LKWs vielen dieser Großkraftwägen als mautfreier Schleichweg neben der Autobahn. Dementsprechend überlastet ist die Straße heute. Befahren kann man sie dennoch.
Die Räder sollten passen und die richtige Größe haben, auch sollten sie einem selbst gehören und nicht vorher „ausgeliehen“ worden sein wie bei Thomas Bernhard. So ausgestattet, führt der Weg die B 304 entlang über Surberg nach Teisendorf und Straß. Hier endete der von Bernhard beschriebene Ausflug mit einem ordentlichen Kollationalschaden. Zurück mußte er das Rad bei Nacht und Nebel schieben. Müssen wir nicht, sondern wir fahren weiter bis Salzburg zur Besichtigung weiterer Haßorte der Jugend. Nur gut, daß damals noch nicht so ein Verkehr herrschte. Trotzdem, in Salzburg heißt es absteigen und freiwillig schieben: Fußgängerzone und das Radfahrverbot im Tunnel fordern ihren Tribut – bei Mißachtung auch die allgegenwärtige Ordnungsmacht.
Es gibt aber auch noch eine landschaftlich wesentlich schönere Variante seines Fluchtversuchs. Ausgangspunkt ist der Bahnhof. in Traunstein. Von hier fährt man die obere Hammerstraße zum Eisenbahnaquädukt, überquert auf den Fußgängerbrücke die Traun, fährt die Kämmerstraße bis zur Ettendorferstraße flußaufwärts und dann auf einem kleinen links abzweigenden Weg (Weinleite) den Hügel aufwärts.
Kirche in Ettendorf bei Traunstein, Bild HJHereth, www.fluchtwege.eu
Oben angekommen hält man sich rechts (Am Römerweg) immer in Sichtachse zum Kirchturm der St. Anna Kapelle (besichtigen oder nicht). An der Georgistraße findet man einen Wald von Hinweisschildern: Julia- oder Jakobsweg, Benediktenweg, Bodensee-Königssee-Weg. Dieser Beschilderung folgt man bis zur Wagingerstraße in Hufschlag. Links und gleich wieder rechts befindet man sich auf der kaum befahrenen Betonstraße (Bernhard läßt grüßen!). Manchmal mühselig bergauf und rasant bergab - das grandiose Alpenpanorama gibt es gratis dazu - gelangt man nach Oberteisendorf. Runter nach Teisendorf und am Bahnhof vorbei über Ainring nach Freilassing (ca. 40 km).
Oder aber man fährt in Oberteisendorf gerade aus weiter an der Ach entlang, besichtigt das schöne Bergbaumuseum und die Künstlerateliers in Achthal, in Siegsdorf das Naturkunde- und Mammutmuseum, bittet in Maria-Eck um Beistand, erholt sich bei einer Brotzeit in Bad Adelholzen und gönnt sich vom Hochfelln (Seilbahn) eine unschlagbare Rundumsicht. Über Bergen und Bayern (5 Ställe, 2 Häuser) gelangt man nach Grassau. Vorbei am Salinenmuseum kann man in Bernau oder Prien (Museumseisenbahn, Überfahrt nach Herrenchiemsee – Ludwig schauen) wieder den Zug besteigen. Für die 60 km sollte man gute 3 Stunden reine Fahrzeit kalkulieren. Der Weg zumeist auf Fahrradwegen neben der wiederum kaum befahrenen Straße lohnt sich. Erst in Grassau frischt der Verkehr merklich auf.
Infos
Thomas Bernhard Wege in Traunstein:
„Ein Kind“
Wohnhaus Schaumbergerstr. 4, Ecke Taubenstraße
Stadtplatz
Stadtpfarrkirche
Volksschule: Franz von Kohlbrenner Volkssschule, Rosenheimerstraße
Großeltern in Ettenborf: Weinleite
Wochinger Eck: Ausflugspunkt
Eisenbahnbrücke über die Traun
Realschule neben dem Gefängnis (JVA, Rosenheimerstr. 2)
„Die Ursache“
Salzburg:
Universitätsplatz
Peterskirche, Dom, Franziskanerkirche
Pferdeschwemme
Siegmund-Haffner Gasse
Luftschutzkellereingang am Kapuzinerberg
Linzergasse/Burgstr.
St. Andrä-Kiche und –schule
„Selbstmörderfelsen“ oberhalb der Müllner Hauptstraße
Sebastiansfriedhof
„Der Keller“
Salzburg:
Scherzhauserfeldsiedlung, Scherzhauerfeldstr., jetzt Thomas-Bernhard Str. 13
Arbeitsamt Salzburg-Lehen, Gaswerkgasse 10
Radetzkystr. 10
Pfeifergasse 4 (Gesangsstunden)
Landeskrankenhaus
Hamsterfahrten:
Tennisplätze in Bad Empfing (von Ettling aus, Eisenbahnbrücke)
Wang
Fahrradweg von Stadtmitte der B304 folgend über Surberg, Teisendorf nach Straß. dort Ende wegen Kettenschadens
Strecke Traunstein-Grenze 36 km
Ausflüge, Schulfluchten mit der Bahn/Bahnsteigkarte (schwarzfahren) nach Waging