Der Name „
Bruno“, dieses 2-jährigen tierischen Wanderer aus Italien hat sich zum Medienkonkurrenten der Fußballweltmeisterschaft 2006 gemausert. Irgend etwas müssen die Bären bei uns ansprechen, dass sie uns nicht unbetroffen lassen. Sind es frühkindliche Erinnerungen an den eigenen Teddybär – benannt nach dem amerikanischen Präsidenten, den Bärentöter und begeisterten Jäger Teddy Roosevelt – ist es das Kindchenschema, mit dem er Schutzinstinkte bei uns anspricht oder was immer es auch sei: Bruno, Knut oder Flocke lassen kaum einen kalt und bevölkern, wenn schon nicht die Natur-, so doch die Zeitungswälder auf deren Titelseiten, auf denen wir scheinbar alles von ihnen erfahren können.
Doch was wissen wir heute noch von Bären? Der letzte bayerische Bär wurde 1835 in Ruhpolding geschossen und das Ergebnis freudig begrüßt. Nicht anders verhielt es sich in Österreich. Dort lernt jedes Schulkind den Tag und Ort des Abschusses des letzten österreichischen Bärens (
Stallenalm bei Schwarz in Tirol, 1898). Nach ihrer Neuansiedlung vor 20 Jahren wurden von den 35 in Österreich Braunbären 20 durch illegalen Abschuß getötet (1994 bis 2007). Nach Mitteilung der WWF haben nur noch 2 männliche Tiere überlebt. Neben den Abschlüssen bedingte wohl auch die zu geringe Zahl der Gründerbären das Scheitern ihrer Wiederansiedlung.
Bei uns weiss man jedenfalls, dass es keine Bären mehr gibt. Ein Nahrungs- und Jagdkonkurrent weniger. Auch der Erholungssuchende kann unbeschwert die Wälder durchstreifen. Doch urplötzlich und unangemeldet konnte man eben dort auf Bruno treffen. Und nicht nur das: Bruno erdreistete sich den Menschen zu nahe zu kommen. Zwar waren auch die Menschen, die ihm begegneten, nicht schlauer, aber das nützen ihm nichts. Ihre Vorbehalte und Ängste waren stärker und ihre Waffen besser und effektiver.
Bruno hat gelernt, die Nähe von menschlichen Behausungen zu suchen, da er dort wesentlich leichter ist an Nahrung herankam. Mit diesem Lernprozeß wurde er zum Problembär. Gerissene Schafe und geplünderte Bienenkörbe kamen bei den Betroffenen nicht so gut an. Das Erscheinen des Bären wurde anfänglich überschwenglich als Zeichen für eine erfolgreiche Umwelt- und Naturschutzpolitik gefeiert. Ganze Regionen mutierten zu „Bärenverkehrsorten“; viele Menschen wollten Bruno auch in natura sehen. Doch mit seinen Freßgewohnheiten offenbarte er, dass seine Ankunft zu früh war. Ein Bärenmanagement, wie es in Italien, Österreich und Spanien entwickelt wurde, um einen Ausgleich und damit eine Akzeptanz durch Wissen von Tier und Mensch zu schaffen, fehlte bei uns völlig. So gab es nur noch bedingungslose Gegner oder enthusiastische Befürworter des Bären, die sich mehr und mehr unversöhnlich gegenüberstanden. Die Entscheidung zum Abschuss von Bruno (26. Juni 2006 in der Gegend der Kümpflalm im Rotwandgebiet) machte eine sachliche Diskussion nicht leichter. In den Jahren danach wurde mit Demonstrationen des Todestages von Bruno gedacht und an seinem Abschussort Blumen hinterlegt.
Seit Mensch und Bär zusammen leben, kam es immer zu Konflikten, da sie Nahrungskonkurrenten waren und das gleiche Territorium benützten (Bärenhöhle). Das Fell des getöteten Bären wurde zu Kleidung und Decken verarbeitet, das Fleisch verzehrt und das Fett und die inneren Organe fanden für medizinische Zwecke Verwendung. Das Erlegen von „Meister Petz“ verlieh dem Jäger auch dessen Stärke. Obwohl
„Ötzi“ mit einer Bärenfellmütze und Schuhsohlen aus Bärenleder gefunden wurde, nützte ihm diese mythische Kraft nichts gegen den hinterlistigen Angriff auf sein Leben.
Mit stärker zunehmenderer Besiedlung verringerte sich auch der Lebensraum des Bären. So waren stärkere Konflikte mit ihm vorprogrammiert. Er wurde zum Lieblingsjagdobjekt der adeligen Oberschicht. Die Erfindung der Feuerwaffen reduzierte sein Vorkommen erheblich. Im 19. Jahrhundert war er deshalb in Zentraleuropa nahezu ausgestorben und fristete nur noch als Tanz- oder Zirkusbär ein unwürdiges Dasein.
Bruno wurde als erstes Jungtier der im trentinischen Nationalpark Adamello Brenta eingebürgerten slowenischen Braunbären Jurka (Mutter) und Joze (Vater) im Rahmen des „Life Urus“-Projektes geboren. Deshalb seine wissenschaftliche Bezeichnung JJ1.
In dieser abgelegenen, weitläufigen Gegend hatten noch einige Bären überlebt, die jedoch seit Jahren keinen Nachwuchs mehr bekommen hatten. Nach einer Machbarkeitsstudie hatte man herausgefunden, daß diese Gegend für Bären geeignet ist und es möglich sein müsste, dort eine überlebensfähige Population durch neuangesiedelte Bären wieder aufzubauen. Zugleich wurde eine Aufklärungskampagne in der Bevölkerung gestartet. Immer wieder wird zudem das Stimmungsbild in der Bevölkerung ermittelt. Der Großteil der Bevölkerung steht der Wiederansiedlung des Bären positiv gegenüber, zumal mögliche Schäden reguliert werden. Dennoch bleibt eine Restskepsis, eine Urangst latent erhalten.
Nach dreijähriger Vorbereitungszeit begann man 1999 sieben weibliche und 3 männliche Bären aus dem Naturpark von Jelen-Sneznik im Süden Sloweniens einzusetzen. Mittels Senderhalsbändern konnte man drei Jahre lang ihre Verhaltensweisen und Wanderbewegungen aufzeichnen und auswerten. Sie haben sich so gut eingelebt, dass sie bisher 20 Junge zeugten. Jurka wurde in der Nähe des Tovelsees freigelassen, wo sie sich, wie die anderen freigelassenen Bären auch, nahezu unsichtbar für Beobachter blieben.
Der Park in der rauen Bergwelt des Trentino ist mehr als nur eine Bären-Zuchtstation. In einen eigenen Informationszentrum werden die Besucher über das Leben der Braunbären informiert. Zahlreiche Schautafeln und Dokumentarfilme klären darüber auf, dass Meister Petz kein blutrünstiges Ungeheuer ist, sondern meist friedlich im Wald lebt und sich hauptsächlich von Pflanzen und Aas ernährt. Es ist vielmehr ein Indikator für eine sich in Ordnung befindliche Natur. Ein baumreiches Gehege außerhalb von Spormaggiore wurde eigens für solche Braunbären eingerichtet, die dem langweiligen und engen Dasein in Zoos entrinnen konnten. Zu einem Leben in Freiheit waren sie nicht mehr in der Lage. Hier also kann man Tuchfühlung aufnehmen mit Meister Petz. Im Winter kann man sie sogar mit Hilfe von Infrarotkameras in ihren künstlich geschaffenen Höhlen beim Winterschlaf beobachten.
Um die Bären (eventuell) zu treffen, werden Wanderungen auf den Spuren der Bären angeboten. Doch der Bär ist scheu, er meidet den Menschen eher als dass er dessen Nähe sucht. Sollte es wider Erwarten doch zu einer Begegnung kommen, richtet sich der Bär auf und stellt sich auf die Hinterpfoten. Das aber ist dann keine Drohgebärde sondern lediglich der Versuch, den Wahrnehmungsradius zu verbessern; er sieht nämlich schlecht. Wenn der Bär also seine Neugierde befriedigt hat, wendet er sich zumeist ab. Wenn nicht, sollte man sich auf den Boden legen und tot stellen. An besten für eine so nahe Begegnung mit einem Bären halten die Ranger des Naturparks jedoch, sich wie ein Mensch zu verhalten: stehen bleiben, laut reden und vernehmbare Geräusche machen. Der Bär zieht sich dann zumeist zurück.
Der Naturpark Adamello Brenta ist ganz auf einen Öko-Tourismus ausgerichtet, der im Einklang mit der Natur stehen soll. Touristen können zwischen imposanten Berggipfeln, riesigen Gletschern und über 80 Seen seltene Pflanzen- und Blumenarten erleben oder einfach eine intakte Bergwelt mit ihrer vielseitigen Flora und Fauna erkunden. Wie überall in den Alpen sollte man aufpassen, wo und wie man sich bewegt, vor den wilden Bären müssen Besucher dabei wohl am wenigsten Angst haben.
Übrigens: Auch seine Mutter Jurka wurde wie sein Bruder JJ2 in der Schweiz zum „Problembären“. korrekter zum „auffälligen“ Bären. Die Mutter wurde deshalb eingefangen und erhielt im Trentiner Nationalpark ein weitläufiges Gehege abseits von Menschen verbracht, der Bruder wurde ebenso wie Bruno abgeschossen. Bruno, der Che Guevara der Berge, so die Süddeutsche Zeitung anläßlich seines 10. Todestages, befindet sich heute nach 1400 investierten Arbeitsstunden ausgestopft und wissenschaftlich präperiert im Münchner Museum Mensch und Natur in einer übermannshohen Glasvitrine. Vorbildhaft ist an Schautafeln das Für und Wider seines Werdegangs dokumentiert. An einer Pinwand kann jeder Besucher seine Meinung dazu abgeben.
Große Beutegreifer nennt man neben den Bären, den Wolf und den Luchs; auch die Greifvögel zählt man dazu. Der größte und heimtückischste ist und bleibt aber der Mensch. Mit der Wiederansiedelung des Luchses und der ungefragten Verbreitung des Wolfes bekommt er ungewollte Konkurrenz. Aus Angst und „Hege“ um die gemeinsame Jagdbeute (Niederwild, Hirsche) sehen sich manche Menschen veranlasst, die Konkurrenten mit Gift und Drahtschlingen los zu werden. Das ist zwar Wilderei, ist strafbar und widerspricht den Naturschutzbestimmungen, bisher konnte aber keinem dieser „Helden“ das Waidmannshandwerk gelegt werden. Es wird also weiter heimtückisch gemeuchelt werden.
All diese Taten an namenlosen Beutegreifern finden meist nur in den Randnotizen von Lokalzeitungen Widerhall. Groß ist das publizistische Echo aber wie im Fall von Bruno, wenn das Tier einen Namen erhält. So geschehen Ende April 2016 als mit „Kurti“, alias MT6, der erste Wolf nach seiner Ausrottung 1906 in Deutschland offiziell erlegt oder in amtscheutsch „letal entnommen“ wurde. Ihm wurde das gleiche Schicksal wie Bruno zuteil: er hat die Scheu vor den Menschen verloren und wurde deshalb zur Gefahr, zum Problemwolf. „Die Angst vorm Wolf“, wie sie in meiner Kinderzeit von Wicki besungen wurde, war plötzlich wieder da. Da halfen ihm auch keine Vergrämungsexperten. Er wollte einfach nicht auf sie hören und hat deshalb mit dem Tod bezahlt. Unsere Generationen hat schließlich das Grimmsche Bild von „Rotkäppchen und dem Wolf“ bzw. die „Sieben Geißlein“ geprägt, nicht die griechische Mythologie mit dem Wolf als heiligen Tier des Lichtgottes Apollon. Könnt aber nicht schaden, so ein Perspektivenwechsel. Auch für Vergrämungsexperten sehe ich weite neue Betätigungsfelder.