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Kosaken

Die Flucht der Kosaken in die Hoffnungslosigkeit


einer der vielen Tunnel und Viadukte am Alpe Adria Radweg. © Hans-Jürgen Hereth 2023

Marktplatz von Venzone © Hans-Jürgen Hereth 2023
„Flucht in die Hoffnungslosigkeit“ unter diesem Titel wurde erstmals 2005 in einem interdisziplinären Forschungsprojekt um den Volkskundler Karl Berger, dem Archäologen Harald Stadler und dem Historiker Martin Kofler dem weitgehend vergessenen Schicksal der Kosaken in Niederösterreich kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gedacht. Die Aufarbeitung dieses menschlichen Dramas und des sie bedingenden politischen Versagens geschah bisher unbeachtet von der Öffentlichkeit in militärhistorischen Untersuchungen oder landsmannschaftlichen Erinnerungen. Auch Pilgerfahrten der russisch-othodoxen Kirche zu den Orten des kollektiven Leids dieser Volksgruppe verklangen ohne große öffentliche Resonanz.
 
Im April 1945 gelangten ca. 25.000 Männer, Frauen und Kinder, mehrere tausend Pferde, einige Kamele, Wägen und Nutzvieh aus dem Friaul über Timau und dem Plöcken- und Gailbergpass in den Lienzer Talboden. Den Plöckenpaß passierten sie bei Nacht und Schneesturm aus Angst vor Fliegerangriffen und Racheakten der italienischen und slowenischen Partisanen. Erstmals nach über 500 Jahren (türkische Sturmabteilungen in Oberdrauburg, Türken vor Wien) wurde die ortsansässige alpenländisch geprägte Bevölkerung wieder mit einer reiternomadischen Kultur konfrontiert.
 
Die Kosakenverbände, die in deutscher Uniform durchzogen, kamen ursprünglich aus dem Ural, Terek, Don und Dnjepr. Nach Konflikten mit der zaristischen Zentralmacht, nachfolgender Befriedung und Zwangsumsiedlung wurden sie ab dem 17. Jahrhundert von der russischen Staatsregierung zur Sicherung der südlichen Grenzen eingesetzt. Als Söldnerheer leisteten sie 1683 einen wichtigen Beitrag zur Befreiung Wiens. Im ersten Weltkrieg kämpften sie in der „weißen Armee“ gegen die Bolschewiken. Im zweiten Weltkrieg schlugen sie sich nach dem Einmarsch der deutschen Armee in ihre Heimatländer auf die Seite der Wehrmacht unter General Helmuth von Pannwitz und kämpften als SS-Einheiten gegen Stalin und seine rote Armee. Gegen Kriegsende (1944) wurden sie im Jugoslawien und Oberitalien/Friaul (Tolmezzo) zur Partisanenbekämpfung eingesetzt. Ihre Hauptaufgabe bestand darin die jugoslawischen Parisanen von denen in Carnia und Friaul zu trennen und den Weg der Deutschen nach Norden zu sichern. Unterstellt waren sie der deutschen Ordnungspolizei in Triest.
 
Mitte Oktober 1944 am Fest Maria Schutz (Pokrov) trafen die Kosaken mit Tausenden von Pferdefuhrwerken in einem 15 km langen Troß von Polen über Deutschland und Kärnten kommend im Friaul und im Karn (u.a. in Gemona, Tolmezzo, Alesso und Tarcento) ein. Dieses Gebiet war noch eines der wenigen nicht-deutschen Regionen, die unter deutscher Herrschaft standen. Frauen, Kinder und Greise der kosakischen Verbände wurden außerhalb des militärischen Einsatzgebietes angesiedelt. Hierfür wurde vor Ankunft der Kosaken Land und Häuser von den deutschen Okkupationstruppen für sie beschlagnahmt, um ein neues „Kosakia“ für die Waffenbrüder zu erschaffen. Reichten diese Unterbringungsmöglichkeiten nicht aus, wurden sie in Massenunterkünften untergebracht. Viele zogen deshalb die Biwakierung im Freien vor. Auch die Versorgung der mitgebrachten Tiere stellte ein Versorgungsproblem dar. Kahlfraß war die eine Folge, die massenhafte Abwanderung der lokalen Bevölkerung zu den Partisanen die andere.
 
Nicht immer war das Verhältnis zur italienischen Stammbevölkerung das beste. Einzelne Verbände der Kosaken plünderten, mordeten und vergewaltigten. Dennoch lebten sie mehr als ein halbes Jahr zumeist friedlich mit den Friaulern zusammen, im Glauben hier für längere Zeit zu bleiben zu können. Heiraten unter den Volksgruppen waren erlaubt und kamen wohl auch vereinzelt vor. Das öffentliche, religiöse (orthodoxe Christen und Muslime) und gesellschaftliche Leben wurde organisiert, Schulen eröffnet, sogar Zeitschriften gegründet. Man wollte nicht als Schmarotzer oder Besatzer gelten, was man dennoch in der Einschätzung des Großteils der Bevölkerung blieb, obwohl die Kosaken zumeist für Nahrungsmittel oder Viehfutter zahlten.
 
Auch optisch boten die Kosaken kein einheitliches Bild: Die Uniformen der kämpfenden Einheiten waren meist ein Gemisch von traditionellen kaukasischer oder kosakischer Bekleidung (Tschekessen, Kubankas) und Wehrmachtsuniform. Zur Unterscheidung der Einheiten trugen die Kosaken je nach Herkunft farblich unterschiedliche Streifen an den Uniformhosen. Auch die Bewaffnung setzte sich auch Beutestücken, alten Karabiniern und zur Verfügung gestellten Gewehren zusammen. Die sie begleitenden Zivilisten waren meist traditionell angezogen.
 
Doch der Traum vom (freundschaftlichen) Zusammenleben slavischer und mitteleuropäischer Völker endete in den letzten Apriltagen des Jahres 1945 als englische und amerikanische Flugzeugverbände Alesso, Osoppo und Gemona bombardierten. Ohne Befehl packen die Kosaken (Stanica) ihre Sachen und zogen Richtung Norden. Am 29. April erteilte General Domanov den offiziellen Befehl zum Rückzug. Das lokale Partisanenkommando verpflichtete sich, den Rückzug nicht zu behindern. Am 4. Mai 1945 verließen sie endgültig den Friaul und übergaben in Temau dem dortigen Pater Vico Morassi ihr italienischen Geld zur Gründung einer Kirche. Die ersten kosakischen Reiter tauchten gegen 16 Uhr am 3.Mai am Plöckenpaß auf. Bis zum 7. Mai folgte ihnen ein Heerzug erschöpfter, durchnäßter und steif gefrorener Menschen nach. Am Tag des orthodoxen Osterfestes kamen sie schließlich im Osttiroler Lienz an.
 
Die Engländer sicherten während der zweiten Konferenz auf Jalta (Februar 1945) den Russen zu, alle von ihnen aufgegriffenen oder befreiten Sowjetbürger (gleichgültig ob es sich um Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene oder kämpfende Verbände handelte zu übergeben). Obwohl die Kosaken in deutscher Uniform kämpften, deutsche Soldbücher besaßen und viele von ihnen gar keine sowjetischen Pässe besaßen, wurden sie in diese Vereinbarung eingebunden. Diese Vereinbarung verstieß klar gegen die Haager und Genfer Konvention. Ende April und damit vor Kriegsende überquerten die kosakischen Verbände unter Führung der Atamanen Domanov, Krasnow und Naumenko bei Schneesturm den Plöckenpass und gelangten einige Tage später ins Kärntner Gailtal. In Kötschach-Mauthen wurden sie von den englischen Verbänden unter Leitung von Generalmajor Robert Arbuthnott überredet ins Drautal weiterzuziehen. Ihnen wurde die Gegend zwischen Lienz und Oberdrauburg, den mitmarschierenden 4800 Kaukasiern der Raum östlich von Dellach als Lagerort zugewiesen. Zu ihnen stieß Mitte Mai noch ein Trupp mit 1400 Kosaken unter Leitung des legendären, 1920 emigrierten Generals Andrej Schkuro.
 
In der Sprachregelung der Engländer sollten diese Verbände „evakuiert“ werden. Dabei war ihnen bewußt, dass die Auslieferung „heißt, sie zu Sklaverei, Folter und möglicherweise zum Tod zu verdammen“. Individuelle Fälle sollten nicht berücksichtigt werden. Im Zweifelsfall waren alle als Sowjetbürger zu behandeln, auch die mitreisenden Lagerangehörigen. In den ersten Tagen und Wochen kam es einem friedlichen Mit- und Nebeneinander von Kosakenverbänden und englischen Truppen, das als nahezu freundschaftlich von den Überlebenden bezeichnet wurde. Die Kosaken waren der Meinung, in englische Kolonien verbracht zu werden oder in einem bevorstehenden Kampf der Westmächte gegen die Sowjets zum Einsatz zu kommen. Ende Mai sollten auf Weisung des Londoner Stabs alle Kosaken zwangsrepatriiert werden. Die ca. 1500 Offizieren und Lagerleitern ( 70% waren „alte“ Emigranten, die nie Sowjetbürger gewesen sind) wurden zu einer erfundenen Konferenz nach Spittal/Drau transportiert. Unbewaffnet und in Festornat wurden sie an der Demarkationslinie, der Murbrücke im steirischen Judenburg, den Sowjets überstellt. Diese Handlungsweise der Engländer wurde in den Lagern bekannt.
 
Ihrer Führungsschicht beraubt, brachen Massenpaniken aus. Mit Petitionen und Hungerstreiks versuchten die Kosaken ihr Los zu verhindern. Am 1. Juni 1945 gingen englische Verbände mit Waffengewalt massiv gegen die sich um einen Popen gruppierende Frauen, Kinder und Alte vor. Mehrere Hundert Kosaken starben bei dieser Aktion oder begingen Selbstmord. Selbst die Toten, die beim Versuch sich schwimmend in der eiskalten Drau in Sicherheit zu bringen starben, wurden an die russischen Besatzungsbehörden übergeben. Nach Schätzungen der Engländer konnten ca. 4000 Personen in die Berge flüchten. Der englische Oberst Malcolm sah deshalb für seine jungen Soldaten die ideale Gelegenheit endlich „Kampferfahrung“ sammeln zu können. So motiviert konnte in rascher Folge die Hälfte der Geflohenen gefangengenommen werden. Erst jetzt begannen die englischen Verbände die Staatsbürgerschaft ihrer Gefangenen zu überprüfen und gesonderte Lager einzurichten. Für die schon überstellten 22500 „Verräter der Heimat“ (nach russischer Zahlung waren es über 42000) kam diese Prüfung leider zu spät. Neben den Kosaken lieferten die Engländer auch noch über 150.000 Korten und 10.000 Slovenen, die sich in ihrem Besatzungsgebiet befanden, an Tito aus.
 
Für die ansässige Bevölkerung bildeten die Kosaken ein weiteres Element ihrer Verunsicherung. 1938 wurde das Gebiet um Lienz von Osttirol abgetrennt und dem „Gau Kärnten“ angegliedert. Seit der Ende 1944 einsetzenden „Brennerschlacht“ mit seiner als Nachschublinie benutzten Bahnstrecke wurde es auch zum Zielpunkt alliierter Luftangriffe. Und nun die „Invasion“ der riesigen, bedrohlich wirkenden Menschenmenge, der „wilden Horden aus dem Osten“. 30.000 zusätzliche Menschen und 6000 Tiere (andere Quellen sprechen von bis zu 15000 Tieren) wollten versorgt sein. Angst vor den Fremden und mögliche Bedrohung der Existenz (Kahlfraß und Krankheiten der mitgeführten Pferde, Nahrungsnotstand) bestimmten zunächst den Erstkontakt. Bewunderung für die Reitkünste der Kosaken und die Schönheit ihrer wendigen Pferde den zweiten. Einige Bauern und Geschäftsleute verdienten sich am überteuerten Tauschhandel mit den Kosaken kurzfristig einen goldene Nase. Auf diese Weise gelangten häufig Schmuck und Teppiche der Kosaken in den Besitz von Einheimischen.
 
Genereller Tenor, auch der lokalen Behörden war aber, die Kosaken „möglichst reibungslos loswerden“. Die schnelle Rückführung der englischen Truppen kam ihnen durchaus zu Paß. Nach dem auch von vielen Einheimischen beobachtete äußerst rabiate Eingreifen der Engländer gegen die Kosaken verlor das Feindbild an Schärfe. Zwar häuften sich in Folge der Flucht der Kosaken die Anzahl der Hütteneinbrüche und Diebstähle zur Nahrungsbeschaffung, die gefürchtete „Landplage“ bleib jedoch aus. Einige wenige Ortsansässige halfen den fremdsprachigen Flüchtlingen oder zogen deren zurückgelassene Kinder auf. Der rasche Abtransport der Kosaken bedeutete aber für die Bevölkerung vor allem aber FLEISCH. Über 5000 herrenlose Kosakenpferde und deren Nutzvieh (Kühe, Schafe und die berühmten 12 Kamele) standen zur Disposition. Viele wurden unter der Bevölkerung verteilt, andere notgeschlachtet. Auch der Besitz der Kosaken war nun frei. Sofort nach Überstellung der Kosaken wurden deren Lager geplündert. „Da ist mitunter super Zeug unten gewesen. So Geschirrwerk, so Rossgeschirr, das ist sebm (damals...) eine Rarität gewesen“. Noch heute befinden sich in Wohnungen, Kellern, Speichern und Scheunen Habseligkeiten der Kosaken, deren Herkunft den jetzigen Besitzern nicht mehr bewußt ist.
 
Filme:
Peter Prestel, Gisela Graichen: Backstage – Der Todesritt der Kosaken. Schliemanns Erben, ZDF, 12.3.2006, 19.30
„Das Ende der letzten Atamanen“
BBC-Dokumentation „Betrogen“. Das tragische Schicksal der Kosaken und die Abrechung unter den Völkern Jugoslawiens 1945. ORF 2, 2.8.1991

Tal des Tagliamento bei Tolmezzo © Hans-Jürgen Hereth 2023
Auf dem Alpe Adria Radweg im Juni 2023 unterwegs. Ab Villach 38 km bergauf bei ca. 300 zu bewältigenden Höhenmetern. Bei Tarvisio dann nach Italien und gleich in die Höhe auf der alten aufgelassenen Bahnstrecke, die sich weit über der Landstraße und die Autobahn erstreckt. Eine kleine Zufahrt war mit 24% ausgeschildert. Glaube ich nicht wirklich, wäre ohne schieben wohl nicht zu fahren gewesen. Schon früh am Sonntagmorgen viele Rennradfahrer in beiden Richtungen. Die Radtrasse wird dann breit und neu asphaltiert, mit Mittelstreifen. Gut  20 Tunnel und Viadukte sind zu durchfahren. Die meisten beleuchtet, mal schwach, mal besser, einige mit Bewegungsmelder. Die Rennradler dübel da auch ohne Licht durch. 3 dieser Tunnel sind komplett unbeleuchtet und die Taschenlampe war auch nicht wirklich hilfreich. Ich war froh, dass ich die 300m geschafft habe. Der längste Tunnel hatte 950m. In Pontebba erstmal Pause. Caffe, Wasser, Hörnchen und dazu eine Piaggio Rallye. Der Radverkehr nimmt merklich zu.
Ab Maggiore steht ein Herr vom Fremdenverkehrsamt am Radweg und winkt mich heraus. Die ausgebaute Radstrecke ist zu Ende und weiter geht es auf der Bundesstraße. Kein wahres Vergnügen aber die 8 km bis Verzone gehen auch. Wirklich schönes quirliges Städtchen, das nach dem Erdbeben vom 6. Mai 1976 originalgetreu wieder aufgebaut wurde. Hier wie in Osoppo und Gemova war das Zentrum dieses Erdbebens, das mehr als 40.000 Menschen damals obdachlos gemacht hat. Tolmezzo war davon nicht ganz so stark betroffen. Von Verzone wieder zurück nach Tolmezzo, auf breiter Bundesstrasse mit Fahrradstreifen. Komische Stadt mit großen Industrieanlagen. Aber ich wollte ja unbedingt das „Kossakendorf“ und den Tagliamento sehen. Die Pension ist an einer Kreuzung und die vom Plöckenpass zurückkehrenden Motorradfahrer dübeln da durch. Abends ist wieder ruhig und das Städtchen wieder wie ausgestorben. Zu Essen gibt es erst ab 19 Uhr und der durchfahrende Tourist muss warten bis die Einheimischen abbedient und angefüttert sind. Ist schließlich die Stammklientel, die man nicht vergraulen möchte.