In der Mitte Europas und doch am Anus Mundi
Hier im äußersten östlichen Zipfel der Oberpfalz, des Böhmerwaldes oder des Egerlandes, wie immer man es nennen mag, wo die Hasen Husen haßen, soll man sich in der Mitte Europas befinden? Nun zumindest befinden sich hier drei Steine, die den geographischen Mittelpunkt Europas bzw. Mitteleuropas bezeichnen. Im Westen ist Europa ja begrenzt, doch wie weit dehnt es sich nach Osten aus? Wie kann man dann den Mittelpunkt bezeichnen? So sind die Steine der „Vermessung in der Mitte Europas“ auch Ausdruck der jeweiligen politischen Situation, in der sie aufgestellt worden sind.
„Breiter Stein“, „Königstein“ oder „Napoleonstein“ nennt man hier den Stein, den 1109 Kaiser Karl VI. zur Grenzziehung aufstellen ließ. In ihm findet sich auch die Jahreszahl 1739 eingemeißelt, die auf Napoleons Rückzug verweist. Durchgekommen ist er hier wohl nicht. Eher sind damit die damals in der Gegend aktiven französischen Vermessungsingenieure gemeint. Den eigentlichen „Mittelpunkt“ setzte der k.und k. Militärgeometer Baron von Zezschwitz 1865 auf dem Tillengipfel, von wo aus er für seine Messungen einen freien Blick auf die ganze Umgebung hatte. Die Grenze blieb, es änderten sich nur die Herrscher. Den Schmugglern in dieser Gegend, Pascher genannt, die sich damit ihren Lebensunterhalt sicherten, war in dieser weltabgeschiedenen Gegend einerlei. Nach dem 2. Weltkrieg machten die Sudentendeutschen aus dem Osten rüber, ob sie wollten oder nicht. Weil der Tillenberg nun im Ostblock lag, versuchten sie zur Erinnerung an die alte, nahe Heimat auch ihren Mittelpunkt neu zu verorten und errichteten ihn 1985 bei Neualbenberg in Sichtnähe des alten Steins.
Wenn man die Steine heute besucht, ist man meist alleine da. Die Besuchermassen meiden diese Gegend. Die tschechischen Kurorte sind attraktiver als der tiefe Wald im Westen. Dennoch gibt es auch hier ein Kurbad, das einzige in der Oberpfalz. Der Zufall stand dafür Pate. Eigentlich bohrte man in den 70er Jahren nach Thermalquellen und fand Radonwasser mit der höchsten Konzentration der BRD. Flugs baute man eine neoklassizistische Bäderburg (der Architekt Alexander von Branca hat auch die Kunstburg der Neuen Pinakothek in München erdacht) und nannte sie Sibyllenbad. Die Grenzöffnung förderte das Publikumsaufkommen nicht gerade. Dennoch, wenn man schon nicht die Mitte Europas befindet, so kann man doch hier zur eignen Mitte finden. Platz und Ruhe gibt es ja genug und günstig ist es auch noch.
Die geographische Abgeschiedenheit war prädestiniert für religiöse Entrückungen. Das Kloster Waldsassen und die vielen Wallfahrtskirchen in der Umgebung diesseits und jenseits der Grenze zeugen von dieser Tendenz. Wenn man schon nicht in die belebte Welt fliehen kann, bietet die Flucht zu Gott eine Alternative. Resl von Konnersreuth ist diesen Weg gegangen, der wiedergeborene Jesus und „Präsident des Weltalls“, der „Oberdada“ Johannes Baader, hat sie kommentiert. Einen Weg aus der Enge der Region und dessen geistigen und kulturellen Lebens wollten andere Oberpfälzer finden, die SPUR-Künstler. Bis in die Hauptstadt der Kunst, nach Paris, haben sie es geschafft, und doch mußten oder wollten sie zurück
Johannes Baader, die „grüne Leiche“, war mit dem „Freifahrtschein“ ausgestattet. Das machte den ehemaligen Grabbauarchitekt für die politisch ambitionierten Berliner Dadaisten äußerst attraktiv. Willfährig ließ er sich von ihnen in den rechtsfreien, aber nicht straffreien Raum schicken. Der Chef- und „Oberdada“ erhielt daraufhin „die „gottgegebene“ Einweisung in eine Klinik, die Kommunarden blieben deshalb zumeist straffrei. Blieb Dada eine zeitbegrenzte, aber dennoch in die Zukunft wirkende Zeiterscheinung, war Baader zeitlebens Dada. Er war so Dada, dass er gar zeitweilig nicht da war und vor seiner umfangreichen Familie und den damit verbundenen finanziellen Sorgen flüchten und sich in klinische Behandlung begeben musste und wollte. Selbsternanntes Genie und religiöser Wahnsinn lagen bei ihm nah zusammen. Mit dieser persönlichen Disposition wurde er auf eine anderes Medienereignis aufmerksam, zu dem Baader sich auf Grund ähnlicher Fähigkeiten hingezogen fühlte: zur Resl von Konnersreuth. In ihr, wie bei ihm, verwirklichte sich ein jahrtausende altes „Gedächtnismaterial“, das via Strahlenschwingung beim jeweiligen Empfänger zum Klingen gebracht werden konnte.
Die Erweckung wurde der Bauerntochter Therese Neumann aus dem Kaff Konnersreuth nicht in die Wiege gelegt (9.4.1898, einem Ostersonntag - 18.9.1960).
Grabstein Therese Neumann, Foto HJHereth, www.fluchtwege.eu
Von früher Kindheit an mußte sie hart arbeiten. Außer Kirche und Wirtshaus gab es keinerlei Abwechslung. Nicht zuletzt deshalb gingen aus diesen Ort in den ersten Jahrzehnten des letzten Jahrhunderts über 40 Männer und Frauen ins Kloster. Thereses Leben änderte sich schlagartig im Alter von 20 Jahren. Verletzungen, die sie beim Löschen eines Brandes davon getragen hatte, verschlimmerten sich soweit, daß sie völlig bettlägerig wird. Gelähmt und plötzlich erblindet hatte sie erste mystische Vorstellung. Ab Weihnachten 1922 nahm sie (angeblich) keinerlei feste Nahrung mehr auf. Sie lebte von der „Luft und Liebe“ zu Gott und einer Hostie täglich. Dann, am 29. April 1923, dem Tag der Seligsprechung der heiligen Theresia vom Kinde Jesu, wurde sie plötzlich wieder sehend. Anfang März 1926, am Gründonnerstag, dem Tag der Beweinung der Leiden Christi, erhielt sie die ersten Zeichen der Stigmatisierung: Blut befand sich in ihren Tränen, das auf ihren Backen stockt. Am 17. Mai 1926 befahlen ihr Lichterscheinungen das Aufstehen. Völlig geheilt kam sie dieser Weisung nach. Nun blutete sie auch aus einer Wunde am Herzen und aus weiteren acht am Hinterkopf (am Herz-Jesu-Tag, den 5.11.1926). Hinzu kamen Vision von Christus am Ölberg, die zur mystischen Vermählung und Ehe mit dem Erlöser führen. Nach anfänglichen Stigmen an der Hand, sind die Hände am Karfreitag 1927 völlig durchbohrt, später auch die Füße. Ab September des selben Jahres benötigte sie keinerlei weltliche Nahrung mehr, auch an Schlaf ist nicht mehr zu denken. Lediglich nach Visionen hatte sie ein verstärktes Schlafbedürfnis. Sie durchlebte das „klassische“ Grundschema christlicher Mystik: Reinigung, Erleuchtung und Vereinigung.
Die Angehörigen und der Pfarrer konnten ob dieses Wunders nicht an sich halten und mußten der ganzen Welt davon künden. Schlangen bildeten sich vor ihren Bett, im Treppenhaus bis hin zum Kirchplatz: Jede(r) wollte die Stigmatisierte und aramäisch, die Sprache Jesu plappernde Resl selbst in Augenschein nehmen. Sie war die Sensation der 20er Jahre. Die Nazis sahen dies mit Mißtrauen. Hitler wollte keine Götter neben sich dulden und verbot schließlich die Walfahrten zu ihr. Nach dem Krieg erinnerte man sich wieder an sie. Auf ihre Initiative hin konnten die Sales-Oblaten 1951 das Schloss Fockenfeld bei Konnersreuth erwerben und zur Spätberufenenschule mit Internat ausbauen, aus dem bisher etwa 300 Priester hervorgegangen sind Nach ihrem Tod wurde das Anbetungskloster Theresianum gebaut, in dem heute 10 Marienschwestern vom Karmel und 30 Pensionärinnen leben. 2005 wurde das Verfahren zur Seligsprechung eingeleitet. Heilig kann sie nicht gesprochen werden, es fehlen die dafür notwendigen Wunder. Eine Volksheilige ist sie aber dennoch geworden.
1957 formierten sich an der Münchner Akademie der Künste eine Gruppe junger Oberpfälzer, der in Neumarkt aufgewachsene Lothar Fischer (geb. 1933- 2004), Heimrad Prem aus Roding (1934 -1978) und der aus Furth im Wald stammende Helmut Sturm (1932-2008) zusammen mit dem „Fischkopf“ HP Zimmer (1936-1992) zur Gruppe "SPUR". Ihr Credo war „eigene Bomben“ gegen den saturierten Kunstmarkt und die allein heiligmachende reine Abstraktion zu werfen, um so publikumswirksam zu werden. In ihrem ersten Manifest erklären sie sich folgerichtig zur „dritten Welle des Dadaismus und Surrealismus“: „Wir sind ein Meer von Wellen. Wir sind die Maler der Zukunft“. Nun, den Anspruch hat jede junge Maler. In guter dadaistischer Tradition und unter Vorwegnahme performanceartiger Aktionen wurden Plakate geklebt, Manifeste formulierte, Kontakte zu anderen (Avantgarde-) Gruppen geknüpft und den bornierten Herren und Damen des Kunstestablishment kräftig ans Schienenbein gepißt. Als erstes erwischte es den „Gottvater“ der abstrakten Metaphysik, den Stuttgarter Max Bense, Professor für Philosophie und Wissenschaftstheorie und Erfinder der Hochschule für Gestaltung in Ulm. „Spur“ kündigte seinen Vortrag im Münchner Völkerkunde Museum an. Viele kamen, wollten ihn hören, und verzichten auf den gleichzeitig stattfindenden Vortrag Martin Heideggers. Nur einer nicht: Max Bense. Statt dessen drang nur Geplapper aus „seinem“ angeblichen Koffer. Die Honoratioren waren entsetzt, der Skandal war da, Bense beleidigt, aber die Spur-Leute kannte nun jeder.
Diese Angriffe auf gewohnte Seh- und Denkweisen und die angeblich „richtige“, weil abstrakte Gestaltung, war aber keine sinnfreie künstlerische Faschingsgaudi – obwohl die Spur-Leute mit der Erfindung der „Weißen Feste“ eine ganz eigene Faschingstradition in München gegründet haben. Sie wollten den Weg für einen politisch-avantgardistischen Aktionismus ebnen, der sich aber nicht in den Dienst irgendeiner Ideologie stellen sollte. Wesentlich für sie war letztlich die „Erneuerung des Individualismus“. Der spätere „Nacktkämpfer“ Rainer Kunzelmann konnte als assoziiertes Mitglied hier schon einen Menge politischer Erfahrung sammeln. Im Zuge der „Spiegel-Affäre“ verstand die Bayrische Staatsanwaltschaft keinen Spaß mehr: sie ließ alle 5 bisherigen Spur-Hefte beschlagnahmen und klagte seine Mitglieder wegen „nihilistischer-anarchistischer, unzüchtiger und gotteslästerlicher Tendenzen“ an. Öl auf die Wunden, Knieschuß des Staats, die beabsichtigte Wirkung ging nach hinten los. Nichts desto trotz: „Spur ging ins Exil“ und hatte jahrzehntelang mit einen Ankaufsverbot von staatlichen Museen zu kämpfen. Heimrad Prem widmete sich daraufhin der Zeugung einer Vielzahl von Kindern und dem heimischen „Zoigl“-Bier und Uwe Lausen experimentierte etwas zu viel mit, auf Veranlassung des Kraepelin Instituts für Psychiatrie verordneten, Halluzinoiden herum und starb daran.
Die museale Anerkennung ihrer individuellen Leistungen wie deren als Gruppe wurde ihnen lange verwehrt. Erst die Gründungen des Spur-Museum in Cham durch den Spurler Niggl und das Fischer Museum, dessen Eröffnung Lother Fischer durch seinen plötzlichen Tod nur um ein paar Tage verpaßte, würdigen ihr Wirken. Dort sind in Wechselausstelungen Arbeiten dieser Gruppe zu sehen. Außerdem soll ihr regionalen Bezug zur Oberpfalz und zu Cham dokumentieren werden.