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Norbert Kaser

Ein Leben wie eine Ziehharmonika

Der Literat wurde ihm nicht gerade in die Wiege gelegt. Als uneheliches Kind der Paula Thum in Brixen 1947 auf die Welt gekommen, verbrachte Norbert C. Kaser die ersten Monate seines Lebens bei den Grauen Schwestern der Heiligen Elisabeth in Brixen und als Pflegekind in Kastelruth. Erst im Herbst 1947 nimmt ihn seine Mutter nach der Vermählung mit dem Kriegsversehrten Franz Kaser, bei sich auf. Zuerst wohnen sie in der Brunecker Stadtgasse, dann in der Dienstwohnung der Schafwollfabrik Moessmer, bei der der Vater als Portier arbeitete.
 
Seit der Mitarbeit an der Schülerzeitung „Die Lucke“ führt Kaser für  sein zweites Ego, den fehlenden intimen Freund, den Vornamen C. (= Conrad) ein. Trotz eifrigsten Lernens fällt er zum Entsetzen seiner Mutter zweimal durch die Maturaprüfung. Sogar das Militär will den schmalbrüstig Jungen nicht. Ende der 60er Jahre beginnt er, inspiriert von den Amerikaner Robert Creeley und Charles Olson, erste Gedichte im Stil der „Neuen Subjektivität“ zu verfassen. Bezeichnend für seine Art der Dichtung ist die Spontaneität der sprachlichen Reaktion auf konkrete Sinneseindrücke und persönliches Erleben. Kaser bricht mit allen sprachlichen Konventionen. Seine öffentlich geäußerte Rechnung, nach der 99% der Südtiroler Schriftsteller besser nicht geboren worden wären und noch besser gar nichts hätten schreiben sollen, verbunden mit Forderung das Wappentier der Südtiroler wie einen „Gigger zu rupfen“, entfacht einen medialen Sturm der Entrüstung. Schlagartig wird Kaser bekannt und berüchtigt. Dem konsequent kleinschreibenden Heimatschänder traut man jetzt alles zu. Dem sprachlichen Ausbruch folgt der Gang aus der Provinz in die Welt.
 
Mit 21 Jahren ist ihm alles zuviel. Er geht als Frater Christoph Kaser a Brunopoli ins Kapuzinerkloster Bruneck. Zu dieser Zeit verfaßt er noch mit Billigung des Klosters zwei Gedichtbände. Schon ein halbes Jahr später wird es ihm dort zu eng und weltfremd. Er verläßt das Kloster, geht zum Studium nach Wien und bereist europäische Provinzen. Den Kontakt zu Freunden hält in einer Vielzahl von Briefen. Diese Form der Mitteilung entwickelt er zu einem wesentlichen Ausdrucksmittel seiner Dichtung. Dem schnell erfolgten Anschluß an die Literaturszene, entzieht er sich ebenso rasch wieder. Annäherungen schlägt er brüsk aus und „verbietet sich jedwede telefonische oder schriftliche einladung zu literarischen techtelmechtel“. Statt dessen wird er Anfang der 70er Jahre (wie Ludwig Wittgenstein) Jahressupplement an den Bergschulen von Vernuer und Flaas. Hier bewohnt er ein Zimmer im Schulgebäude mit direkten Blick auf die Wirtschaft. Lehrpläne, Vorgaben, Curricula und vorsetzte „flaschenfurzer“ sind ihm ein Graus, den er mit Alkohol betäubt.
 
Sein exzessiver Alkoholkonsum führt zu schweren gesundheitlichen Problem und kulminiert in einem Leserbrief an die Bozner Tageszeitung „Alto Adige“ über die vermeintlich überhöhten Gaststättenpreise. Ab 1974 ist er dienstunfähig und wird zum Entzug in das Bozener Krankenhaus und später die psychiatrische Klinik Villa S. Guiliana in Verona eingeliefert. Statt dem Alkohol abzuschwören entschließt er sich hier, die literarische Arbeit ebenso zu intensivieren wie den Konsum der „harten droge alkohol“ zu steigern.
 
„da ich (er) ein religioeser mensch bin (ist)“ tritt er aus der Kirche aus und in die KPI ein. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Kaser reibt sich am „gruenen (da unerfahrenen) pabst“ Sixtus VI., hält „der kirche“ öffentlich ihren scheinheiligen Umgang mit Geld und ihre Lieblosigkeit Armen gegenüber vor und prangert ihre verbohrte Prüderie an. Seine Sexualität thematisert er nicht. Gelitten hat er als Homosexueller unter lauter strammen Jungs genug. Frust im Suff und mönchisches Heiligenleben. Das interessierte auch die behandelnden Psychiater: wo liegen die Ursachen seines Scheitern? Vieles liegt wohl in den Haßlieben seines Lebens begründet: zu seiner Mutter, zur klerikal-reaktionären Kultur Südtirols, dessen abgeschotteten Täler und sperrigen Menschen, die er dennoch liebte, zur Kirche, zu seiner Sexualität und den Vorgaben seiner Partei. Letztendlich ist er unter all den Disziplinierungsapparaten seiner Umgebung zerrieben worden.
 
Am 21. August 1978 stirbt Kaser im Brunecker Krankenhaus an einem Lungenödem als Folge fortgeschrittener Leberzirrhose und Bauchwassersucht. Seinen aufgedunsenen Körper hat er wie folgt beschrieben:
 
„ich krieg ein kind
ein kind krieg ich
mit rebenroten kopf
mit biergelben fueßen
mit traminergoldnen haendchen
& glaesernem leib
wie klarer schnaps
 
zu allem lust
& auch zu nichts
 
ein kind krieg ich
es schreiet nie
lallet sanft
ewig sind
die windeln
von dem kind
feucht & naß
ein bin ein faß“
 
Erst weit nach seinem Tod wurde seine literarische Bedeutung gewürdigt. Heute befindet sich sein Nachlaß als Stiftung in der Stadtbibliothek Bruneck. Anläßlich seines 10. Todestages wurde von seinen Freunden Paul Flora und Markus Vallazza der Norbert C. Kaser-Lyrikpreis ins Leben gerufen. Die Stelen am neugestalteten Rathausplatz in Bruneck sind mit Fragmenten aus seinen Gedichten beschrieben. Jetzt wo er tod ist, schmückt sich seine Heimatstadt mit „ihren“ Dylan Thomas, die Netzbeschmutzung ward ihm verziehen. Man wird halt altersweise, auch in der Rezeption, vor allem wenn man sich mit so wenigen Literaten seiner Qualität brüsten kann.