(Musil, Grigia) - Ein Weg an die Grenzen der Sprachlosigkeit
Robert Musil beschreibt in der Novelle „Grigia“ die schrittweise Selbstauflösung des Geologen Homo. Unentschlossen, ob er seiner Frau und seinem kranken Sohn in den Kuraufenthalt folgen soll, da er sonst zu lange „von seinen Büchern, Plänen und seinem Leben“ getrennt wäre, läßt er sich schließlich von seinem Freund Hoffingott anwerben. Mit ihm soll er die alten venezianischen Goldbergwerke im Fersental, ausgehend von dem Ort „P.“ (= Palai, Pergine), wieder erschließen.
Dort angekommen verfällt Homo immer mehr der „für ihn von der persönlichen Vorsehung bestimmten Zauberwelt“ dieser Gegend. Verzaubert, fühlt er sich nicht mehr in der Lage die Briefe seiner Familie zu beantworten. Widerstandslos und fließend löst sich von allen irdischen Bindungen und genießt die daraus resultierende „herrliche Leichtheit“. In dieser Stimmung beginnt er ein Verhältnis mit einer Bäuerin Lene Maria Lenzi; „das klang wie Selvot und Gronleit oder Malga Mendana, nach Amethystkristallen und Blumen, er aber nannte sie noch lieber Grigia, mit langem i und verhauchtem Dscha, nach der Kuh, die sie hatte, und Grigia, die Graue, rief“. Als Grigia ihrerseits diese Verbindung wieder lösen will, ignoriert er ihre Absicht. Trotzdem willigt sie zu einem letzten Treffen mit Homo in einem alten Bergwerksstollen ein. Dort überrascht sie ausgerechnet der aus Amerika zurückgekehrte Mann von Grigia. Der Gehörnte verschließt daraufhin den Eingang mit einem großen Stein. Erst nach Tagen kann sich Grigia durch eine Felsspalte selbst befreien. Verlassen von allen, ergibt sich Homo kraftlos in sein Schicksal wie ein Schmetterling im Herbst.
„Grigia“ ist eine von drei Novellen der 1924 erschienen Sammlung „Drei Frauen“. Diese nimmt eine Mittlerrolle zwischen den hochgelobten Erstling „Verirrungen des Zögling Törleß“ (1906) und Musils Hauptwerk „Der Mann ohne Eigenschaften“ ein. Zwischen allen Werken gab es lange Publikationspausen. Musils Besessenheit jede Silbe, jede Passage, jeden Satz unanfechtbar genau und „wahr“ zu machen fand ihren Höhepunkt im Verwerfen mehrerer hundert druckfertiger Seiten zu seinem Roman „Mann ohne Eigenschaften“.
Diese Kompromislosigkeit machte Musil zwar bei seinen Verlegern nicht beliebter, festigte aber seinen Ruf in Schriftstellerkreisen. Musil war das, was man in der Kunst „arist´s artist“ nennen würde, ein im Kollegenkreis hoch anerkannter Autor, dessen Themen die Fremdheit zwischen den Geschlechtern, die männliche Einsamkeit, das Hineinwandern in die seelischen Labyrinthe und die damit verbundenen Befindlichkeiten seiner Protagonisten war. Nach seinem tragischen Tod – er erlitt einen plötzlichen Gehirnschlag als Folge des ärztlich verordneten Zigarettenentzugs – beschrieb ihn die „Times“ in einem Nauchruf als den bedeutendsten deutschschreibenden Romancier dieser Jahrhundertshälfte, [der dennoch] einer der unbekanntesten Schriftsteller dieses Zeitalters“ geblieben sei.
Die Novelle „Grigia“ beruht auf Erfahrungen, die Robert Musil in der dort thematisierten Gegend, dem Fersental, gemacht hat. In der Zeit des 1. Weltkriegs war er Vizekommandant der Lagorai-Gruppe und wohnte von Mai bis August 1915 in Palai/ Palú del Fersina, dem Garnisonsort der Lagorai-Linie. Teile des ehemaligen Frontverlaufes zwischen Italien und Österreich mit seinen noch erhaltenen Festungsanlagen, wurden im jetzt „entgrentzten“ Gebiet auf Initiative von Reinhold Messner wieder bewußtbar und begehbar gemacht.
Das Fersental, auch
Val dei Mócheni oder
Bernstol genannt, ist eine von vielen Sprachinseln in den südlichen Alpen. In diesen „vergessenen Tal“, wie Musil es nennt, wird heute noch ein altertümlicher bayerischer Dialekt gesprochen, den Bergleute und Holzfäller zur Zeit der tridentinischen Bischofsmacht (Zeit Martin Luthers) aus ihrer Heimat Bayern und Böhmen mitgebracht hatten. Lange Zeit konnten sie wegen der Abgelegenheit des Tales ihre Sprache und Gebräuche bewahren und ihren protestantischen Glauben nachgehen. Nach einer Um- und Rücksiedlungswelle im 2. Weltkrieg und einem Rückgang des Dialektgebrauchs durch die sich daran anschließende Italienisierung, besinnt man sich heute verstärkt wieder dieser Wurzeln. Informationen zu den „Inseln in den Bergen“ bietet der Sprachinselverein am Kulturinstitut Bernstol-Lusern in Palai/Palú del Fersina.
Charakteristisch für das Fersental sind tiefeingeschnittene Bachläufe und dicht bewaldete Berghänge, die von weitläufigen Almen unterbrochen werden. Diese befinden sich zumeist auf grasbewachsenen Gipfeln oder Kuppen, die Orte oder Ansiedlungen sich oftmals auf kleinen, steilen Terrassen errichtet. Die Felsen des Fersentales bestehen aus rotglänzenden Porphyr-Gestein, der auch in dieser Gegend gebrochen und im Straßen- und Wegebau Verwendung verwendet wird. Das Tal wird hufeisenförmig von der Bergkette des Lagorai umschlossen.
Traditionell leben immer noch viele Bewohner des Tales von der Schafzucht und dem Anbau von Beerenobst. Da der Boden keinerlei weitere Ausbeutung zuließ, wanderten viele, meist männliche Bewohner, ganz oder zeitweilig nach Amerika aus. Heute öffnet sich das Tal wieder zaghaft dem Fremdenverkehr und versucht die charakteristischen Produkte der Gegend z.B. im Vermarktungszentrum in Pergine direkt zu vermarkten.
Eine weitere Besonderheit des Tales sind die 46 Lokale (Restaurants, Trattorie, Agritourismus-Betriebe, Berghütten, Osterie), die sich zur „Osteria Tipica Trentina“ mit eigenem Gütesiegel zusammengeschlossen haben. Sie verpflichten sich, jahreszeitlich aktuelle Produkte ausschließlich einheimischen Ursprungs zu verwenden. Die bei den Menüs offerierten Weine dieser Lokale müssen Weiß- und Rotweine Trentiner Ursprungs sein. Daneben sollten sie auch Dessertweine, Spumanti und wenigstens 10 unterschiedliche Grappi anbieten können. Auch das bei Tisch servierte Mineralwasser ist, wie die Wurst- und Käsesorten, Trentiner Ursprungs. Schließlich, so der hohe Anspruch, muss das Saalpersonal auch noch in der Lage sein, die Produkte und deren Zubereitung erläutern zu können.
Zur leichteren Verständigung hier ein kleiner Sprachführer:
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Garait Oachlait Vlarutz Palai Oachpèrg Schrumspitz Schwarzkofel Hochspitz Türl |
Gereut Eichleit Florutz Palai Eichberg |
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Beirter ver òlla (fersentalerische Wörter für alle; aus den Infoblättern des Kulturinstituts;