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Ludwig Ganghofer

Die beiden Wiggerls, das Pop-Duo des 19. Jahrhunderts


Michaela Melián, "Ludwig", 2002, Faden, Papier, genähte Zeichnung, 56 cm x 42 cm. Eigentum HJHereth, www.fluchtwege.eu
Unterschiedlicher konnten die beiden Menschen nicht sein, die in räumlicher Nähe beide ein Refugium des Rückzugs in der Natur suchten: Hier der passionierte Jäger, Volksschriftsteller und Salontiger Ludwig Ganghofer auf der österrichen Seite des Wettersteinmassivs und dort der melancholische Regent und Baulöwe eines untergehenden Zeitalters auf der bayerischen. Was sie einte, war die Liebe zu dieser grandiosen Natur und ihrer manchmal schon bedrückenden Stille.
 
Ludwig II. ließ im Werdenfelser Land innerhalb kurzer Zeit vier Bauprojekte unterschiedlicher Größe realisieren: Die Jagdhäuser am Soiernmassiv

Soiernssen von der Schöttelkarspitze aus gesehen, Foto HJHereth, www.fluchtwege.eu
und am Pürschling, das Königshaus am Schachen und das Schloßareal in Linderhof. Das Königshaus am Schachen ist das letzte seiner vier Bauvorhaben. Ludwig II. ließ es von 1869-1872 nach Plänen von Georg Dollmann auf der Schachenalpe errichten. Der Platz ist gut ausgesucht. Im Rücken das mächtige schroffe Massiv des Wettersteins mit dem „Teufelsgsäß“, rechts das Reintal mit der damals noch existierenden blauen Gumpe, geradeaus die Dörfer Garmisch und Partenkirchen (die jetzt keine mehr sind und was ganz anderes sein wollen) mit dem föhnigen Ausblick auf die Voralpenseen, der bei guten Wetter fast bis nach München reicht.
 
Das Schachenhaus ebenso wie die sog. Jagdhäuser dienten Ludwig Zwei als Refugium im Hochgebirge und nicht als Jagdhaus, da er weder Jäger war, noch tradionell jagen wollte. Seine Beutetiere waren eindeutig „zweihaxig“. Er benötigte die Einöde der bayerischen Berge: „Lange in der Stadt sein, wäre mein Tod. Ich kann nicht leben in dem Hauch der Grüfte, mein Atem ist die Freiheit“.
 
Das Schlösschen ist im damals modernen Schweizer Chaletstil in Ständerbauweise aus Holz errichtet worden. Ortsansässige und Münchner Kunsthandwerker übernahmen den Ausbau. Im seinem Obergeschoß befindet sich der sog. „Türkische Saal“, ein orientalischer Prunkraum, der mit Pfauenfedern, farbigen Glasfenstern, Springbrunnen und opulent bestickten Textilien märchenhaft ausgestattet ist, in dem Ludwig II. seine durch Napoleon I. Bonaparte ausgelösten Orientkult und die Sehnsucht nach märchenhafter Ferne ausleben konnte.
 
Zum Schachen wurde er standesgemäß mit einer Sänfte auf dem zu einem Fahrweg ausgebauten Reitsteig gebracht, auf den man heute noch diesen begeht. An guten Tagen ritt er wohl auch selbst hinauf. Ab dem Jahr 1870 verlebte er dort seine einsamen Geburtstage (25. August). Trost boten ihm der Blick vom Schlafzimmerfenster aus: die bayerischen Voralpenseen und die Hirtenbuben in ihren knappen Lederhosen. Die homoerotische Neigungen und Affären (u.a. mit dem Schauspieler Josef Kainz) von Ludwig Zwei waren dem Hofstab bekannt, doch wurden sie unter dem Mantel des Schweigens gehalten.
 
Doch auch in der Einsamkeit am Schachen ließen sich die Realitäten nur verdrängen und vergessen. Mit seine ausufernden Bautätigkeit hatte er sein Reich fast in den Staatsbankrott geführt. Ausgerechnet der Oberpreuße Bismarck bewahrt ihn davor. Das alles an sich wäre ja schon schlimm genug – für ihn und Bayern. Die ihm von Bernhard von Gudden fernbildlich andiagnostizierte Geisteskrankheit hat es zu seinen Leiden gar nicht mehr gebraucht. Sie bildete nur den an die Öffentlichkeit gerichteten Vorwand Ludwig vom Thron absetzen zu können. (Lit: Heinz Häfner: Ein König wird beseitigt. Ludwig II. von Bayern. München 2008). Wie und warum er dann gemeinsam mit Gudden im Starnberger See ertrank – darüber ranken sich heute noch Legenden.
 
Ludwig Ganghofer, der bürgerliche Ludwig von der Berggegenseite, Grenzgänger (wie er sich sebst nannte) zwischen Bayern und Österreich, hatte es auf ganz anderes Wild abgesehen. Ihm stand mehr der Sinn nach einem kapitalen Abschuss. Doch erst der enorme Erfolg seines Romans „Schloss Hubertus“ ermöglichte es ihm, das 1896 vom Herzog von Oldenburg erbaute Jagdhaus zu erwerben. Mehr als 20 Jahre wurde dieses Haus im Gaisbachtal Mittelpunkt seines schriftstellerischen, jägerischen und gesellschaftlichen Lebens. Hier entstanden seine berühmten Romane: „Das Schweigen im Walde“, „Lebenslauf eines Optimisten“ und „Der Ochsenkrieg“. Ganghofer erweiterte das Jagdhaus um einen Anbau, in dem er insgesamt 34 Gäste unterbringen konnte.
 
„Haus Hubertus“ diente ihm von 1897 bis 1913 als Basisstation für Jagdausflüge und gesellschaftliche wie kulturelle Kontakte. Alle, die in dieser Zeit Rang und Namen hatten, waren dort zu Gast. Durch seine „Ehrenhändel“ und seine Rolle als Sachverständiger bei der Beurteilung „unzüchtiger“ Schriften, war Ganghofer umfassend medienpräsent. Er galt als Weltmann und beneidenswerter Frauenheld, als grandioser Vermarkter seiner selbst. So verwundert auch nicht weiter die illustre Schar seiner Gäste, die in seinem Licht auch etwas Glanz abbekommen wollten. Ganghofer nutzte die Attraktivität seines Hauses aber nicht nur für sich selbst. Die ungezwungene Atmosphäre erleichterte es ihm junge Talente zu fördern. Ernst von Wolzogen, Ludwig Thoma, Hugo von Hofmannsthal und Rainer Maria Rilke wußten es ihm zu danken. Ein Konkurrenzgedanke war Ganghofer in dieser Hinsicht fremd. Auch die Maler Franz von Defregger, Friedrich von Kaulbach, Franz von Stuck und Arnold Böcklin, die Schauspieler wie der Ludwig Zwei Günstling Josef Kainz, Ernst von Possart und Alexander Moissi, der Sänger Leo Slezak und die Musiker Bruno Walter und Richard Strauss waren häufige und gern gesehene Gäste. „Leben und Leben lassen“ war für Ganghofer keine hohle Phrase. Das galt auch für sein Personal. Er behandelte es mit Würde und bezahlte es großzügig.
 
Diese Eigenschaften ließen Ganghofer auch zu einem entschiedenen Schützer der Natur werden, der heutige, gerne benutze Termini wie Regionalität und sanften und erlebnisnahen Tourismus vorlebte, ohne sie ausformulieren zu müssen. Natur erachtete er als schützenswertes Gebilde, das im Einklang mit der menschlichen Nutzung stehen sollte.
 
Der Liebe zur Natur widerspricht nicht seine Leidenschaft für die Jagd. Ganghofer war nicht nur auf den Abschuß versessen, er jagte waidgerecht. Gleichzeitig führte er die Gaistaljagd in bisher unbekannte Dimensionen. Ganghofer weitete die Pachtflächen zur größten Jagd Tirols aus, baute Jagdhütten und Futterplätze. Allein der jährliche Abschuß betrug 25 Hirsche, 60 Gemsen, 20 Rehböcke, 30 Murmeltiere, 20 Auerhahne. Um diesen finanziellen Aufwand stemmen zu können, benötigte er zahlende Gäste. Der von ihm begründeten Gaistaler Jagdgesellschaft gehörten deshalb nur wohlhabende Herren aus allen Schichten an.
 
Heimat und die sie einbettende Landschaft war für Ganghofer jene Welt, mit der man/er sich identifizieren kann. In seinen liebevollen Schilderungen von Sonderlingen und sonstigen Randexistenzen der bürgerlich-bäuerlichen Gesellschaft, gibt er ihr einen historischen Zusammenhang und eine Vergangenheit. Zwar bediente er die Sehnsüchte seiner Zeit und lebte sie auch oppulent aus, doch stürzte er dabei nie ins sentimentale Pathos ab. Dies gelang erst durch die Verfilmungen seiner Werke in den 50er Jahren, die ihm aus den Ruf eines Kitsch-Autors einbrachten.
 
1918 endete die Jagdzeit von Ludwig Ganghofer im Gaisbachtal. Er zog sich in sein Haus am Tegernsee zurück, wo er am 21. Juli 1920 verstarb. Zusammen mit seinem Jagdfreund Ludwig Thoma liegt er auf dem Friedhof von Egern am Tegernsee begraben. „Um den Mann ist schade!“ vermerkte Ludwig Thoma in seinem Nachruf auf Ganghofer.
 
Heute befindet sich seine Jagd im Eigentum der Österreichischen Bundesforste. Mit dem Leutaschtal bildet es einen Teil des Projektes „Grenzenlos“ der Euregio Zugspitze/Wetterstein/Karwendel. Es verbindet die grenzüberschreitende Landschaft, mit der sich Ganghofer über 20 Jahre lang dichterisch auseinandergesetzt hat.
 
Ganghofers Jagdhaus wurde vom jetzigen Jagdpächter H.B. Ilg im Inneren weitgehend renoviert und durch ein Wasserkraftwerk zur umweltschonenden Energieversorgung erweitet. Öffentlich begehbar ist es nicht. So bleibt nur der seit Ganghofer unveränderte Anblick von Außen und der Gang ins Ganghofer Museum in Leutasch.